Dienstag, 15. Juni 2010


Der deutsche Sommer riecht hier oben im Norden am Morgen nach kaltem Tau 
und manchmal nach Nebel. Die Lübecker Nebelschwade hat sogar noch einen kleinen Touch Salzluft darin. An schönen Tagen wehen mir, sobald die Sonne die Bäume streift, noch im Juni die letzten Fetzen Fliedergeruch und Maiglöckchen der im Schatten stehenden Pflanzen in die Nase. Hinter dem Haus an der Nordseite hebt sich selbst am Nachmittag der Geruch nach feuchtem Moos und Erde bis auf Gesichtshöhe, solange ich beim Müllentsorgen den Tonnendeckel noch nicht geöffnet habe....

… sobald ich diesen anhebe, riecht es anders. Nicht wirklich schlimm. Die Biotonne hat etwas von deutsch-herbem Eintopf mit Sellerie-Anklang und der Restmüll verhält sich so zahm wie es in einem ruhigen Dreiparteienhaus zu erwarten ist. Da schimmelt, klebt und beißt nichts.

Bei meinen vielen ausgiebigen Spaziergängen mit meinem Hund, die für mich täglichen Miniatur-Urlaub von Schreibtisch und der Staffelei bedeuten (mal ehrlich, wer hat diesen Luxus?), riecht es an jeder Ecke und dann wiederum je nach Witterung und Temperatur anders. Meine Nase könnte ich auch bisweilen als Peilgerät einsetzen – sie ist die reinste Mimose. Der schlimmste, wirklich allerschlimmste Straßengeruch auf meinen Routen ist leider unberechenbar, denn er trägt sich auf Menschen durch die Gassen. Es ist dieser moschusherbe typisch männliche Rasierwasserduft, dieses Blendwerk von Manneskraft. Penetrant, künstlich und viel zu stark zieht er selbst bei der Brise, die hier oben im Norden weht, unerwartet um die Sraßenecke und kündigt den Träger „Mann“ an. Natürlich gibt es diese überdosierten Wolken auch bei Frauen, schwer und süß kommen sie daher, doch fehlt diesen diese kunstherbe Note, die den gewollten Feinduft zu einer klebrigen und unsichtbaren Masse plattwalzt. Und ist der Typ längst weg, zieht immer noch seine langsam schwächer werdende Luftschlange um die Häuser. Ich persönlich halte dann lieber Naturduft aus und lache immer wieder ab und an über den Spruch eines lang verjährten Freundes, der nach dem Sport zu sagen pflegte „ich muss duschen, ich rieche wie eine Marktfrau unter den Achseln“. Kann also nicht wirklich schlimm gewesen sein!

Abgesehen von den echten und künstlichen menschlichen Dünsten scheine ich sehr oft vom Schleier frisch gebackener Kuchen oder Bratensoßen umhüllt zu sein. Sonntags gerät man von einer Falle in die andere, selbst wenn man satt und zufrieden nach dem eigenen Essen seine Runde dreht. Der Hähnchen-Stand vor dem Supermarkt ist für den gleichen Effekt wochentags zuständig, obwohl ich kein Hähnchen - und schon gar kein halbes und gegrilltes - essen mag. Alle Alarmglocken des Urinstinkts des Jägers klingeln trotzdem aufgeregt. In der Sommerzeit läuft mir dann auch noch abends das Wasser im Munde zusammen, wenn ich Nachbars Grill erschnuppere, wobei ich als Gemüsetante wahrscheinlich auch damit nicht glücklich wäre. Aber was stört das meine Geschmacks-Sensoren!

Ein ganz besonderer Duft, der mich in den grünen Klee hebt, ist der nach frisch gemähtem Rasen. Schon aus einiger Entfernung kann man Grünflächen daran ausmachen und sie regelrecht inhalieren. Könnte ich Gerüche konservieren, verpacken und mir immer wieder selbst schenken, wäre dieser ganz sicher dabei. Ebenso wie der nach Jasmin und diesen kleinen rosa Vorgarten-Nelken, die mich an American Bubble Gum erinnern. Die blühenden Rapsfelder, die mir vor einigen Wochen beim Durchqueren fast den Atem raubten, sind fast zu klebrig im Geruch, um sie lobend anzuführen, wenn auch durch ihre Besonderheit und Kurzweiligkeit einmalig. Im Geschenkeduftset die Nummer eins und bis zuletzt aufgespart in diesem Wortteppich der Wohlgerüche ist der Geruch nach Meer. Das Salz, die Muscheln, die Algen, das Wasser, der Sand. Jedes Element für sich hat seine eigene Note und diese als Komposition vereint sind unschlagbar, unnachahmlich und der wunderbarste meiner Nasenvorlieben. Irgendwann in diesem Leben, werde ich so wohnen, dass ich aufs Meer sehen kann, es in wenigen Schritten erreiche und mit Ebbe, Flut und seinen zumeist sanften Tönen meine Tage und Nächte verbringe. Steine, Algen, Fische und Krebse werden meine Nachbarn sein und wenn sich der Mond auf der Oberfläche spiegelt und die Winterstürme alles rauh aufwühlen und in dunkelgraues Licht tauchen färben, werde ich da sein und diesen Duft der Düfte bis ganz tief in meine Seele ziehen lassen.

Illustration: Karin Tauer 2009

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